Colerianischer Adventskalender

09.12.2020

 

Die Thunderwing schwebte einige Stockwerke tiefer vor der Fassade und schien zu warten. Es fiel Rafale schwer, in der Eile den Repulsor so einzustellen, dass das schwere Bike genau auf Höhe des 25. Stockwerks schwebte, aber schließlich gelang es ihr. Immer wieder hörte sie, wie die Turbinen leise fauchten, wenn die Maschine versuchte, sich gegen den an der Fassade herrschenden Wind zu positionieren. Wind! Sie verzog das Gesicht. Das Bike schwebte jetzt vor dem Fenster, schien zum Greifen nah, aber es waren doch knapp zwei Meter Distanz. Und, wenn sie die Thunderwing im Sprung verfehlen sollte, gut hundert Meter bis zum Aufschlag tief unten auf dem Platz! Das ernsthaft Letzte, was sie dabei noch brauchen konnte, waren Windböen. So eine Bö würde das Bike nicht wesentlich fortschieben können, wohl aber sie selbst! Sollte sie wirklich springen?

 

Kurz schloss sie die Augen. Sie sah Emmys vorwurfsvolles Frostmorgengesicht und wusste ganz genau, was sie jetzt fragen würde. Warum tat sie das alles? Weil ein kopfstehendes Leben besser war als eines in lähmender Ergebenheit? Weil sie die andere Seite der Medaille sehen wollte? Weil es einfach ihre ureigene, längst eingelullte Art war? Vielleicht von allem etwas. Dann öffnete sie die Augen und sah zurück. Sah Barays Leiche, die Leiche des Mannes, mit dem sie kurz zuvor noch Kaffee getrunken hatte. Eine Frau wie Sie sollte sich nur nicht mit schmutzigen Dingen beschäftigen hatte er gesagt.

 

»Doch, Baray! Gerade eine Frau wie ich!«

 

Sie sprang.